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Der Punzierwettstreit

Ravenor war gerade frischgebackener Zugführer der Schwarzen Garde und er fühlte sich verdammt gut. Er stand mit ein paar anderen Offizierskameraden vor dem Kommandantenbüro und es störte ihn noch nicht einmal, dass darunter auch Sir Agarat und Sir Askir waren. Jene adeligen Abkömmlinge, denen schon alleine ihr Blut die Laufbahn ebnete.
„Ich habe schon immer gesagt, dass ich es mal zu was bringen werde. Fleiß und Tapferkeit zahlen sich eben aus.“
Askir runzelte die Stirn. Bei den Göttern, Ravenor ist ein Prahlhans. Tapfer ist er, das muss man ihm lassen, aber Fleiß ist sicherlich keine seiner herausragenden Eigenschaften. Aber der junge Lord Orten war nicht auf Streit aus und so schwieg er.
„Ich habe den verdammten Magier getötet und damit den Schlachtverlauf entscheidend beeinflusst. Tja, wir Unmagischen sind doch zu was nütze. Magische gegen Unmagische, da muss nicht immer die Zauberseite gewinnen.“
Darin stimmte ihm Askir sogar zu, doch offen sollte man nicht schlecht von den Magischen reden. Besonders weil ihr oberster Dienstherr ein Hochmagier erster Klasse war. Prinz Raiden, Herr des Schwarzen Turmes, zweiter in der Thronfolge von Ardeen, Gründer der Schwarzen Garde und Vater Ravenors. Doch genau in diesem letzten Punkt lag das Problem. Ravenor war nur ein Bastard und, im Gegensatz zu seinem überbegnadeten Vater, komplett unmagisch. Offiziell gab es diese unsägliche Verwandtschaft nicht. Inoffiziell wusste jeder darüber Bescheid und Ravenor begab sich mit seiner Rede gerade in gefährliches Fahrwasser.
„Ich würde sogar behaupten, dass die Magier ohne uns aufgeschmissen währen. Wer würde denn dann hinter ihnen herräumen und ihr Zeug tragen, wenn es uns nicht gäbe.“
Alle Versammelten hatten schon einmal das Vergnügen von Ordonanzdienst gehabt und wussten nur zu gut, wovon Ravenor da redete. So fanden diese Worte allgemeine Zustimmung und brachten Gelächter hervor.
„Magier tun immer so, als ob sie was Besseres wären. Aber so toll sind die auch nicht.“
Doch wie es der böse Zufall wollte, kam Prinz Raiden gerade aus Kommandant Borons Büro und Magier hören immer mehr, als sie sollen. Wie lange Prinz Raiden schon gelauscht hatte, wusste niemand, denn Magische haben weit bessere Möglichkeiten zur Verfügung als nur ihre unmagischen Ohren. Zumindest redete Seine Hoheit gleich mit:
„Sir Ravenor, Magier sind immer etwas Besseres als Unmagische, denn es gibt rein gar kein Gebiet, auf dem Unmagische den Magischen das Wasser reichen können.“
Ravenor schoss die Röte ins Gesicht. Dieser Tadel schmeckte wie Galle und er war hin und hergerissen, ob er nun besser die Klappe hielt oder ob er heldenmutig auf verlorenem Posten für die Seite der Unmagischen kämpfte. Vernunft war eine Sache, Ravenors Temperament eine andere.
„Bei allem Respekt, Eure Hoheit, doch solch ein pauschales Urteil sollte man nicht fällen.“
Prinz Raidens Gesichtszüge wurden hart und die versammelten Offiziere hätten sich am liebsten aus dem Staub gemacht. Es war nie eine gute Idee in der Nähe zu sein, wenn Prinz Raiden mit jemanden aneinandergeriet. Bestenfalls strafte er den Querulanten gleich persönlich ab, wenn es weniger gut lief, dann waren alle mit dran.
Doch im Augenblick ließ sich Prinz Raiden auf dieses Streitgespräch ein:
„Nennt mir irgendetwas.“ Kaum befördert und schon fällt er wieder unangenehm auf. Was gibt es da überhaupt zu diskutieren? Magische sind immer besser als Unmagische. Aber mal sehen, wie er sich jetzt rechtfertigen möchte. Prinz Raiden konnte sich gerade eben absolut kein Argument vorstellen, welches Ravenor nun vorbringen könnte und mit bohrendem Blick forderte er eine Antwort.
„Das Ritterhandwerk“, sagte Ravenor ganz allgemein. „Viele Dinge werden ohne jegliche magische Hilfe hergestellt, mein Prinz.“ Er selbst war in der Schmiede seines Ziehvaters großgeworden, und war obendrein ganz geschickt, wenn es um handwerkliche Fähigkeiten ging.
„Pha“, Prinz Raiden lachte abfällig. „Viele Dinge werden ohne magische Hilfe hergestellt, weil die meisten sich die Arbeit eines Magiers nicht leisten können. Das sagt nichts über die Qualität aus.“ Selbst ich bezahle lieber unmagische Handwerker. Nur wenn es schnell gehen muss, dann werfe ich den Grauen Magiern von Ragnitor mein Geld in den Rachen und die unersättliche Baumeisterhydra verschling es gierig.
Alleine der Gedanke an Ragnitor verschlechterte Prinz Raidens Laune beträchtlich und vielleicht hätte er Ravenor jetzt sofort abgestraft, wäre nicht Lord Boron gerade aus dem Gebäude gekommen. Der Kommandant gesellte sich zu ihnen und fragte interessiert:
„Prinz Raiden, weswegen habt Ihr die Zugführer versammelt?“
„Die haben sich selbst versammelt und Sir Ravenor wollte mir gerade mitteilen, in welchem Handwerk Unmagische besser sind als Magische.“
So ganz erschloss sich Lord Boron der Sinn dieses Disputes nicht, weswegen er mutmaßte:
„Geht es hier um eine Wette?“
Prinz Raiden witterte eine gute Gelegenheit und grinste boshaft:
„Ja, in der Tat ein Wette wäre angebracht. 100 Goldstücke auf Sieg. Magische gegen Unmagische, womit meine Seite klar wäre und Ihr, werter Lord Boron wettet doch sicherlich auf Eure eigene Fraktion… die Unmagischen.“
Dann drehte er sich zu Ravenor um und zeigte mit dem Zeigefinger auf ihn:
„Und Ihr benennt mir jetzt ein Ritterhandwerk, in dem die Unmagischen besser sind. Schließlich war das alles Eure Idee, Zugführer.“
Alle Augen waren auf Ravenor gerichtet und der fluchte innerlich: Scheiße. Jetzt bin ich schuld, egal was ich mache. Ein Handwerk…
„Habt Ihr etwa Eure Stimme verloren, oder bekomme ich heute noch eine Antwort?“ Prinz Raiden und Geduld war zwei Dinge, die nicht zusammenpassten und Ravenor fühlte sich schwer unter Druck gesetzt. Fieberhaft dachte er nach: Irgendwas Kunstfertiges, … Schwieriges, … Ausgefallenes. „Punzieren!“, stieß er hervor, dann besann er sich auf die Höflichkeit: „Ähm, punzieren, Eure Hoheit.“
Prinz Raiden schnaubte verächtlich: „Punzieren, lächerlich. Aber die Wette steht und die unausweichliche Niederlage beschert mir einen Gewinn von 100 Goldstücken. Sir Draken soll dieses Possenstück überwachen, da Ihr ja wegen der Wette befangen seid, Lord Boron. Aber das ganze Spektakel findet erst nach Dienstende statt. Schließlich ist das hier eine Garnison und kein Unterhaltungslokal. Und nun, meine Herren, besinnt Euch darauf, dass Ihr beim Heer seid und tut etwas Sinnvolles.“
„Jawohl, Prinz Raiden!“, versicherten die Umherstehenden und salutierte. Dann eilten sie geschäftig davon.
Prinz Raiden sah ihnen nach und meinte ganz beiläufig zu Lord Boron:
„Helft mir mal kurz. Was genau ist denn dieses Punzieren?“
„Irgendwas beim Werken mit Leder.“ … glaube ich
„Hm“, brummte Prinz Raiden und runzelte die Stirn. Das wird ein mittelmäßiger Magier schon hinbekommen.
„Werdet Ihr dem Spektakel beiwohnen?“, fragte Lord Boron ganz unverfänglich und Prinz Raiden schüttelte den Kopf.
„Nein, dieser Blödsinn ist doch lächerlich. Ich weiß mit meiner Zeit weitaus Besseres anzufangen, als mir die Unzulänglichkeit der Unmagischen anzusehen. Nehmt es nicht persönlich, Ihr wisst, wie ich das meine.“
„Natürlich, Eure Hoheit.“

Magieranwärter Kerven wunderte sich, als er den Kasernenbereich der Magier betrat. Normalerweise befanden sich dort immer Leute, die Experimente durchführten, in der Bibliothek studierten oder gerade ein Seminar besuchten. Doch heute war keine Menschenseele anzutreffen.
Wo sind die alle? Kerven war gerade von einer Reise aus der Hauptstadt Arvon zurückgekehrt und hatte noch nichts von dem mitbekommen, was gerade in der Garnison vor sich ging.
Klatsch und Tratsch hatte aber zuvor wie immer perfekt funktionierte und inzwischen wusste die ganze Mannschaft, dass es einen Wettkampf zwischen Magischen und Unmagischen geben würde. Auch das mit der Wette zwischen Prinz Raiden und Lord Boron war bekannt geworden und eine Menge anderer Leute schlossen sich diesem beliebten Sport mit eigenen Wetten an. Die Unmagischen würden den Sattlermeister im Dorf ins Rennen schicken, aber wer die Magier vertreten würde, war noch nicht geklärt. Keiner hatte sich bisher freiwillig dafür gemeldet – im Gegenteil. Plötzlich mussten alle Magier und Magieranwärter ganz dringen weit draußen Feldübungen abhalten oder ein paar jüngeren Kollegen den Torreisezauber erklären. Ein Tor war schnell aktiviert, ein Schritt hindurch brachte einen zu einem anderen Ort und dann erst hatte man viel Zeit für längere Erklärungen.
Nur Kerven war nicht gewarnt worden und so lief er ahnungslos direkt Kommandant Heime in die Arme.
„Magieranwärter Kerven, gut dass ich Euch hier antreffe. Ihr habt heute die Ehre Eure Kompanie in einem Wettstreit zu vertreten. Es geht um Punzieren.“
Kerven blinzelte irritiert. „Entschuldigung, Kommandant Heime, aber was genau ist das? Etwa irgendeine Art Feuerzauber?“ Kerven war ganz gut im Kreis Rot, weswegen er diese Vermutung hatte.
„Nicht doch“, klärte ihn sein Kommandant auf, „man prägt mit kleinen Punzierstempeln Muster ins Kernleder.“ Dann deutete er auf seine lederne Schulterrüstung. „Hier, diese Ornamente sind punziert. Der Sattler im Dorf hat das gefertigt.“ Der Rest war schnell erklärt und für Kerven gab es kein Entkommen mehr. Denn es war bereits allgemeiner Dienstschluss und Kommandant Heime nahm sein Opfer gleich mit.
Obwohl der Befehlshaber der Magier wusste, dass es weitaus besser ausgebildete Magier in der Garnison gab als Kerven, ließ er sich jetzt nicht auf eine längere Suche ein. Die anderen Ratten haben sich rechtzeitig verdrückt und ich habe ihr Spiel erst durchschaut, als es schon zu spät war. Aber Kerven lasse ich jetzt nicht mehr vom Haken, sonst stehe ich am Schluss noch ohne Vertreter für die Magierfraktion da und das möchte ich Prinz Raiden auf gar keinen Fall erklären müssen.
Deswegen gab sich Kommandant Heime auch sehr zuversichtlich und klopfte Kerven sogar aufmunternd auf die Schulter.
„Ihr schafft das schon. Mit etwas Gefühl und der nötigen Magie. Ich hoffe, es spornt Euch zusätzlich an, wenn ich Euch jetzt verrate, dass Prinz Raiden persönlich auf Euch gewettet hat.“
Diese Motivationsansprache blieb Kerven wie ein Kloß im Halse stecken. Nun war ihm alles klar. Kein Wunder, dass niemand da ist.

Herowald der Sattler hatte eine große Werkstatt, in der für gewöhnlich noch vier Angestellte für ihn arbeiteten. Schließlich belieferte er mit seinen Waren die Garnison.
Es gab so viele Arbeiten in einer Lederwerkstatt. Das Rohleder musste zugeschnitten werden, um daraus später Riemen, Taschen, Sättel, Rüstungen und vieles mehr zu machen. Dann musste man noch die Endlosriemen wickeln, Nieten und Ösen ins Leder einlassen und die Stücke mit Handnäh- oder Sattlergarn vernähen.
Doch heute waren so viele Leute anwesend, dass es mittlerweile ziemlich eng und stickig in dem Raum war. Die Fraktion der Unmagischen war groß, doch erstaunlicherweise hatten sich auch etliche Magische eingefunden, die sich allesamt pünktlich zum Dienstschluss wieder in der Garnison eingefunden hatten.
Kommandant Draken, der als Veranstalter dieses Spektakels bestimmt worden war, hatte Meister Lionas gebeten, ihn bei der Leitung zu unterstützen und für die Magierfraktion zu sprechen. Zunächst ging es um die Rahmenbedingungen, wer welches Lederwerkzeug benutzen durfte und um das Motiv. Sollte eines frei gewählt werden oder sollten die Wettstreiter ein und dasselbe Bild auf das Leder aufbringen.
Magieranwärter Kerven sah nicht besonders glücklich aus, wie er da so vor seiner fast leeren Werkbank saß. Nur ein Stück Leder und ein paar leere Schälchen hatte man ihm als Hilfsmittel zuerkannt. Meister Herowald hingegen hatte eine Unzahl an Gerätschaften um sein Blanklederstück herumstehen, darunter verschiedene Punziereisen, Punzierhammer, Modelliereisen, Swivel Knife sowie ein paar Schwämme.
Kerven warf einen verstohlenen Blick hinüber zu seinem Kontrahenten und dachte, diese Punzierdinger reihen sich da auf wie eine riesige Armee. Sie wird mich niederwalzen. Und was sind das alles für Flüssigkeiten in den Fläschchen. Ich sollte mir das schon einmal ansehen.
Es war ein großer Vorteil, dass Unmagische den Fluss der Magie nicht sehen konnten und so streckte Meister Kerven seine Fühler aus.
„Dasselbe Motiv kann man besser vergleichen“, meinte gerade Sir Draken und Meister Lionas pflichtete ihm bei. Meister Herowald, der die Ruhe selbst zu sein schien, war gerne behilflich:
„Ich habe ein paar Motivsammlungen, wollt Ihr das Ornament wählen?“
„Verschafft das Meister Herowald nicht einen Vorteil, wenn er das Motiv bereits kennt“, überlegte Meister Lionas, doch Kommandant Draken konnte das mit dem unumstrittenen Totschlagargument entkräften:
„Der Initiator der Wette hat behauptet, dass Magische stets besser sind als Unmagische. Was spielt es dann für eine Rolle, wenn Meister Herowald das Bild schon einmal auf Leder übertragen hat.“
„Prinzipiell richtig“, meinte Meister Lionas, während Meister Kerven angestrengt an seinen Analysen arbeitete. Pigmente und Alkohol ist in dem ersten und auch in den nächsten fünf Fläschchen. Das sind Lederfarben. Aber das größere Gefäß beinhaltet etwas anderes. Öl, würde ich sagen…
Die Ehre der Motivbestimmung überließ Sir Draken schließlich Ravenor, dessen Rolle beim Entstehen dieses Wettstreits nicht ganz unerheblich gewesen war. Ravenor blätterte den dicken Schinken durch und es gab viele hübsche Blumenmotive, doch die Tierdarstellungen sprachen Ravenor mehr an und schließlich präsentierte er Kommandant Draken ein sehr aufwendiges Drachenbildnis.
„Was haltet Ihr von diesem hier, Sir Draken?“
Die Wahl fand allgemeine Zustimmung und mit einem Kopierzauber waren im Handumdrehen zwei Abbilder auf weißes Papier übertragen worden.
Dann verkündete Sir Draken offiziell den Beginn des Wettkampfes und Meister Herowald feuchtete das Leder mit einem Schwamm an, ließ es ein wenig antrocknen und begann dann das Drachenbildnis mit einem Silberstift durchzupausen. Hier war Kerven klar im Vorteil, den Kopierzauber waren jedem Magieranwärter geläufig.
Aber was nun? Kerven tat so, als prüfe er die übertragene Zeichnung aufs genaueste, in Wahrheit jedoch wartete er darauf, dass Meister Herowald den nächsten Schritt tat, damit er abschauen konnte. Kopieren und spionieren, das ist meine Strategie. Ich werde zum Heil- und Kampfmagier ausgebildet, nicht zum Handwerksmagier. Hätte diese dumme Aufgabe nicht jemand anderen treffen können.
Kerven kam sich gerade sehr ungerecht behandelt vor und verfluchte sein Schicksal. Allerdings hatte die Wahl weniger mit Schicksal zu tun, denn mit Unwissen. Seine Kollegen hatten den Braten einfach früher gerochen und sich in Sicherheit gebracht.
Zumindest waren jetzt wieder viele Magische zugegen, um ihren Mann anzufeuern und auch ein ganz spezieller Gast hatte sich unter die Zuschauer geschlichen. Nun nicht persönlich, denn das war weit unter seiner Würde, sondern lediglich vertreten durch sein magisches Auge. Ins schwarze Mäntelchen des Verbergens gehüllt, schwebte Prinz Raidens Spionageauge durch den Schornstein in die Werkhalle und schwirrte dann gleich einem Insekt mal um Meister Herowald dann um Magieanwärter Kerven herum. Was er sah, gefiel Seiner Hoheit, denn die Magischen lagen vorne.
Ich muss das jetzt irgendwie in das Leder hineindrücken, damit es später ein Halbrelief ergibt, analysierte Kerven seinen nächsten Arbeitsschritt und probierte nun vorsichtig am Rand des Lederstücks, wie stark der magische Druck sein musste.
Zu Beginn des Wettkampfes hatte die versammelte Menge noch ehrfürchtig geschwiegen und den beiden Handwerkern über die Schulter gesehen. Aber diejenige, die kaum etwas sehen konnten, begannen schon bald, sich leise zu unterhalten und es dauerte nicht lange, da herrschte ein ziemliches Stimmengewirr. Kerven empfand das als störend, wohingegen der erfahrene Meister Herowald unbeirrt seiner Arbeit nachging und nebenher sogar noch selbst ein Gespräch führte.
„Sir Draken, vergesst bitte nicht Seiner Hoheit mitzuteilen, dass ich seinen neuen Sattel nun nicht so bald fertigbekommen, weil ich mich auf Euren Wettkampf hier eingelassen habe. Ihr wisst, wie ungeduldig er sein kann.“
„Seid unbesorgt, Meister Herowald, dieses Spektakel hier wird auf ausdrücklichen Wunsch Seiner Hoheit veranstaltet, und da wird selbst Prinz Raiden einsehen, dass er nur das Eine oder das Andere haben kann. Schließlich seid Ihr ja bloß ein Unmagischer und könnt nicht alles gleichzeitig bewerkstelligen.“
„Ja, wir Unmagischen können sowas wahrlich nicht. Wir machen immer nur Eines nach dem Anderen.“
„Also wir Magischen eigentlich auch“, warf Meister Lionas ein und forderte damit eine Nachfrage von Sir Darken heraus: „Gibt es da nicht diese Parallelzauber, Meister Lionas?“
„Doch schon, aber das bezieht sich auf den Fluss der Magie.“
Inzwischen war Meister Herowald mit dem Durchpausen fertig und nahm ein Swivel Knife zur Hand und Kerven merkte auf. Interessant, er schneidet jetzt die Linien ein. Und Schritt für Schritt kopierte Kerven nun Meister Herowalds weitere Arbeitsschritte.
Die versammelte Menge verlor sich in Gesprächen und kaum einer beobachtete mehr die beiden Handwerker, denn die Arbeiten machten nur langsam Fortschritte. Nur einer passte ganz genau auf, denn schließlich ging es um die Ehre der Unmagischen. Ravenor kniff die Augen zu dünnen Schlitzen zusammen, denn er hegte einen bösen Verdacht. Meister Herowald war inzwischen zum eigentlichen Punzieren übergegangen und arbeitete mit einem Beveler, einem speziellen Punziereisen, zum Einschrägen von Kanten in die Lederhaut. Als Kerven nun schon zum vierten Mal genau dieselbe Linie bearbeitete wie der unmagische Meister, war sich Ravenor seiner Sache sicher und beugte sich zu Sir Draken hinüber.
„Kommandant, ich habe die starke Vermutung, dass Magieranwärter Kerven lediglich schnöde kopiert. Aber der Wettstreit sucht den besten Punzierer und nicht den besten Kopierer. Eine Regelwidrigkeit würde ich behaupten. Oder wie seht Ihr das, Sir Draken?“
Als Unmagischer sah Sir Draken dies genauso als Betrug, doch zunächst galt es, besagte Behauptung zu verifizieren.
„Meister Lionas, stimmt Sir Ravenors Vermutung?“
Für einen Moment bekam der Heilmagier einen glasigen Blick, was bedeutete, dass er gerade einen Zauber wirkte. Dann gab er ohne Umschweife zu:
„Da muss ich Sir Ravenor recht geben“, und obendrein gab es dann auch noch ein Lob: „Ihr habt eine scharfe Beobachtungsgabe, Zugführer.“
„Ähm, danke, Meister Lionas“, sagte Ravenor leicht verlegen, zumal er sich ein wenig schäbig vorkam, dass er Magieranwärter Kerven so schnöde verpetzt hatte. Doch es galt einen Wettstreit zu gewinnen und der freundliche, sympathische Kerven stand eben gerade auf der falschen Seite. Überhaupt schienen die Unmagischen viel stärker zusammenzuhalten als die Fraktion der Magischen, denn nun forderte Sir Draken hitzig:
„Also das ist in der Tat regelwidrig. Handwerkliches Geschick ist der Inhalt dieses Wettstreits, keine Täuschungen oder Taschenspielertricks. Ich fordere die komplette Abschirmung der beiden Kontrahenten.“ Das klang fast so, als ginge es um ein Duell.
Meister Lionas nickte gelassen. „Da gebe ich Euch recht, es sollte schon fair zugehen. Ich selbst werde die Abschirmung stellen.“
Ob er das wirklich macht?, argwöhnte Ravenor. Aber als er dann sah, wie Meister Kerven sich auf einmal hektisch umblickte und einen ganz verzweifelten Gesichtsausdruck bekam, nickte er zufrieden. Meister Lionas hat es tatsächlich getan.
„So, erledigt“, informierte der Magiermeister gerade Sir Draken und senkte dann seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüsterton: „Unter uns gesagt, ich habe auf Meister Herowald gewettet. Selbst mit magischen Fähigkeiten bedarf es großer Übung und hoher Kunstfertigkeit, um die Perfektion unseres Sattlermeisters zu erreichen. Aber unsere Hauptgebiete sind Heil-, Spionage- und Kampfmagie. Da ist doch klar, wer hier den Sieg davontragen wird.“
„Da ist Seine Hoheit aber anderer Meinung“, raunte Sir Draken zurück und Meister Lionas zuckte mit den Schultern. „Prinz Raiden ist ein derart begnadeter Magier, dass er der Realität manchmal etwas entrückt ist. Die meisten magisch Begabten haben nur einen Bruchteil seiner Fähigkeiten, doch er erwartet von allen seinen Untergebenen Wunderdinge.“
Wie treffend dargelegt, dachte Ravenor gehässig und biss sich auf die Lippen, um nicht boshaft aufzulachen und das war auch gut so, denn das schwarze Auge schwebte direkt über ihnen.
Während Meister Herowald in aller Ruhe sein Werk erschuf, liefen Kerven Schweißtropfen von der Stirn. Nun war er auf sich alleine gestellt und eine Woge der Verzweiflung überkam ihn. Wie mache ich das bloß? Dann riss er sich am Riemen. Ich mache es eben, so gut ich kann. Und er hob und senkte das Leder. Einmal kam er zu tief und ein Loch entstand. Das reparierte er, so gut es eben ging.
Hmm, sieht aus wie eine Drachenschuppe. Ich mache einfach noch ein paar daneben, dann fällt es nicht so auf. Am Ende wirkte es so, als hätte der Drache lauter kleine Beulen. Da Kerven Meister Herowalds perfekte Arbeit nicht mehr sehen konnte, war er mit seinem Erstlingswerk ganz zufrieden. Also den langen Ringelschwanz habe ich richtig gut hinbekommen. Die Flügel sehen ein wenig komisch aus, da muss ich noch was dran machen.
Aber dazu kam es nicht mehr, denn Sir Draken verkündete:
„Beide Wettstreiter haben das Punzieren nun abgeschlossen. Soll das Leder anschließend auch noch gefärbt werden oder beenden wir hier den Wettkampf?“
„Mit Verlaub, Kommandant, die punzierten Stellen kommen erst richtig zur Geltung, wenn man das Leder einfärbt und danach ein Finish aufträgt“, warf Meister Herowald ein. „Im Grunde genommen gehörten diese Arbeiten noch dazu. Allerdings gibt es längere Trocknungszeiten zwischen den Farbaufträgen und dann könnten wir erst morgen weitermachen … es sei denn, etwas Magie beschleunigt den Prozess, wenn das nicht gegen die Regeln verstößt.“
Daraufhin beriet sich Sir Draken mit Meister Lionas über eine Ergänzung der Regeln, während Kerven überlegte, ob er sich noch etwas mehr Zeit zum Punzieren erbitten sollte. Hm, besser nicht, entschied er. Ich sollte froh sein, wenn das hier endlich vorüber ist und mit der Lederfarbe kann ich die Verfehlungen auch noch etwas aufwerten.
Inzwischen waren sich die beiden Schiedsrichter einig und genehmigten Meister Herowalds Vorschlag. Doch etwas hatten sie nicht bedacht und nun beschwerte sich Magieranwärter Kerven zurecht:
„Meister Lionas, es ist mir nicht möglich zu sammeln, solange ich abgeschirmt bin. Eine Einschränkung der Magie ist doch sicherlich auch regelwidrig.“
Das löste eine weitere Diskussion aus und führte zu einer gänzlich unmagischen Problemlösung. Wenn man nämlich Meister Herowald eine magische Trocknung zuerkannte, weil niemand bis zum nächsten Tag warten wollte, dann war eine unmagische Farbzuteilung auch gerechtfertigt und Magieranwärter Kerven bekam nun Lederfarbe und Finish zur Verfügung gestellt.
Doch Kervens Plan, mit der Farbe kleine Fehlerchen auszugleichen, versagte. Stattdessen verlief die doch recht flüssige Farbe und es bildete sich ein Klecks am Ende des Drachenhorns. Das sah nun wie eine Blume aus und Kerven fluchte:
Mist, diese Farbe ist viel zu wässrig. Er sammelte die Pigmente weg, doch irgendwie veränderte das die Beschaffenheit des Leders und als er es erneut mit der Farbe versuchte, wurde die Kugel am Drachenhorn nur umso größer.
„Würdet Ihr das Werkstück nun bitte trocknen, Meister Lionas. Aber nicht zu extrem, wenn es geht“, sagte gerade Meister Herowald und Kerven wusste, dass ihm die Zeit davonlief. Also Augen zu und durch. Unter Druck zu arbeiten machte das Ergebnis nicht besser und die eine oder andere Nase bildete sich an unvorhergesehener Stelle.
Noch zwei Mal in recht kurzer Abfolge verlangte Meister Herowald die magische Trocknungshilfe und Kerven rätselte. Was tut er da? Muss man jede Farbe einzeln trocknen? Ach was, ich färbe jetzt den Hintergrund mit Hellbraun und trockne dann alles auf einmal.
Inzwischen roch es in der Werkhalle so stark nach Alkohol wie nach einem heftigen Saufgelage und alleine schon der Geruch hob die allgemeine Stimmung.
„Ich werde jetzt das Finish auftragen“, erläuterte der Sattlermeister seinen nächsten Arbeitsschritt und so saugte Kerven ebenfalls das Ölgemisch magisch auf sein Lederstück.
Das schwarze Auge starte immer ungläubiger auf Kervens Werk. Bei den Göttern, das sieht wie ein Kinderbild aus. Überall rausgesudelt … und jetzt verschmiert er noch alles mit dem Finish. Trocknen, du Tölpel.
Auch wenn Kerven diesen guten Ratschlag nicht vernommen hatte, kam er auch gerade selbst darauf. Mist, ich muss es ja noch trocknen. Gleich verkündet Meister Herowald, dass er fertig ist. Ich muss mich beeilen. Hastig wob er seine Magie und klatschte dann das Finish darüber.
„So, fertig“, ertönte Meister Herowalds ruhige Stimme und Kerven atmete tief durch.
Phu, gerade noch geschafft. So schlecht ist mein Erstlingswerk gar nicht geworden. Diese Selbsteinschätzung bekam einen herben Dämpfer, als die magische Abschirmung fiel und man beiden Werke schonungslos nebeneinanderlegte. Rechts das perfekte Halbrelief des unmagischen Meister Herowald und links die eigenwillige künstlerische Interpretation des Magieranwärters Kerven. Es bedurfte keiner langen Beratung, um hier den Sieger zu küren und selbst das schwarze Auge kam zu keiner gegenteiligen Einschätzung. Meister Herowald hat eindeutig das bessere Ergebnis erzielt, weil … Magieranwärter Kerven künstlerisch gänzlich unbegabt ist. Allerdings ist es auch äußerst hinterhältig von einem Magier zu verlangen, dass er das strahlende Abbild eines Drachen erschaffen soll. Prinz Raiden wusste nur zu gut, auf wessen Rat dies geschehen war und er schwor sich:
Freundchen, darüber reden wir noch. Du hast Magieranwärter Kerven vor die missliche Wahl gestellt, entweder Drachenverherrlichung oder Niederlage und nun bin ich 100 Goldstücke los.
Das Auge warf einen letzten Blick auf den verunstalteten Drachen und stürzte sich anschließend frustriert ins Finish, wo die Magie mit einem ganz leisen Zischen erlosch.