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Wir erinnern uns ... der Beginn von "In einem fernen Land". Prinz Raiden rettet die Welt, bevor sein Elend beginnt. Jedoch wurde nie geklärt, wie es dazu kam – bis heute. Hier ist die Vorgeschichte:

 

Der Weltzerstörer

Jeder kennt sie, die Geschichten über unglaublich mächtige Artefakte. Artefakte, die Wunder bewerkstelligen können, jenseits jeglicher Vorstellungskraft. Meist jedoch galten diese Wunderartefakte als verschollen, weswegen die Annahme nahe lag, dass sie vielleicht doch nicht so großartig waren, wie hinlänglich behauptet wurde. Und der eine oder andere munkelte sogar, dass diese Geschichten allesamt nur erfunden waren.

Nun gut, dem kann getrost widersprochen werden, denn Meister Ador war stolzer Besitzer eines solchen Megaartefakts – dem Weltzerstörer.

Eine schön gefertigte Kugel aus Gold mit Diamanten verziert, die ihr Zerstörungswerk offensichtlich noch nicht vollbracht hatte, denn die Welt existierte gerade ganz sorglos weiter. Meister Ador legte den Kopf leicht schief und betrachtete das Kleinod.

Sie hat die Raserei des Drachen überlebt und ich konnte sie nach meinem Erwachen tatsächlich wiederfinden.

Nicht viele seiner früheren Artefakte hatte er wiederfinden können. Die meisten Stücke hatten die Wut des Drachen nicht überstanden und waren zu unförmigen Klumpen aus Edelmetall zusammengeschmolzen.

Ob er sich einen Teil meiner Schätze unter den Nagel gerissen hat? Diese Frage ließ sich nun nicht mehr so leicht beantworten, denn der Große Graue war gegangen.

Wohin auch immer ein Drache so verschwindet, wenn er stirbt. Und die kleine schwarze Ratte wird in jedem Fall behaupten er habe alles, was er besitzt, ehrlich gegerbt, gefunden oder gekauft. Ador seufzte sentimental. Der Verlust meiner kostbaren Sammlung schmerzt, doch ich sollte nicht undankbar sein. Schließlich habe ich überlebt und ein Artefakt lässt sich neu erschaffen.

Das war leichter gesagt als getan. Ein herausragendes Artefakt zu erschaffen, war ein hohe Kunst und oftmals waren sogar mehrere Magier an diesem Akt beteiligt. So war es auch beim Weltzerstörer der Fall gewesen. Drei Magier von herausragendem Können hatten sich zusammengefunden, um den Weltzerstörer zu erschaffen.

Warum tut jemand sowas?, fragte sich Ador immer noch, obwohl die Geschichte durchaus eine Erklärung dafür lieferte. Der Hochmagier Alhambra vertrat die Ansicht, dass viel mehr Böses als Gutes auf der Welt herrschte und es ein Segen wäre, wenn es die Welt nicht mehr gäbe. Der zweite im Bunde, Hochmagier Kyletos, hatte deutlich eigennützigere Gründe. Wenn er gehen musste, dann sollte auch niemand anderes weiterleben, denn was wäre die Welt schon ohne ihn. Und Hochmagier Zelavir sah den wissenschaftlichen Aspekt. Ist es tatsächlich möglich, die Welt als Ganzes zu vernichten und was müsste man dafür tun?

„Vollidioten“, murmelte Meister Ador leise vor sich hin. Zum Glück haben sie es nicht wirklich hinbekommen, denn die Kugel ruht da auf ihrem Podest und verweigert die Weltzerstörungsarbeit.

Ador hatte schon mehrfach versucht, hinter das Geheimnis der Kugel zu kommen, doch bisher hatte er nichts Besonderes herausfinden können.

Wahrscheinlich haben sie sich nur einen Scherz erlaubt. Ich meine, höre sich doch einmal einer diese unsinnigen Gründe an. Trotzdem, sie haben zumindest ein Artefakt von legendärem Ruhm erschaffen und deshalb stelle ich es ganz offen in der Empfangshalle aus. Vielleicht bin ich sogar derjenige, der die Weltzerstörung verhindert. Ador schmunzelte, denn er sonnte sich gerne im Erfolg und wenn diese Geschichte die Runde machte, würde er strahlen wie der heldenhafteste aller Retter.

Aber vorerst war das Artefakt nichts weiter als eine hübsche Kugel und das war sicherlich kein schlechtes Zeichen.

 

Tage vergingen, ja sogar Monate und Ador dachte gar nicht mehr an den Weltvernichter, denn so viele andere und weitaus dringendere Probleme mussten gelöst werden. Aber dann, eines Tages geschah es. Ador eilte gedankenverloren an dem Podest mit der Kugel vorbei, da blieb er wie elektrisiert stehen und drehte sich wieder um.

War das wirklich ein Funkeln, welches von dem Artefakt ausging? Sicherlich nur eine Reflektion des Sonnenlichts. Doch als Ador nun den Weltzerstörer genauer betrachtete, stockte ihm der Atem. Das Glitzern war keine Reflektion, nein, es kam direkt aus der Kugel. Ein paar kleine unscheinbare Lichtpunkte, die zu pulsieren schienen. Etwas hatte begonnen und Ador ahnte, dass dies nichts Gutes sein würde. Warum jetzt? Jahrzehntelang passierte gar nichts und nun aktiviert sich der Weltzerstörer. Der Gedanke war mehr als besorgniserregend. Ador vergaß all seine anderen Aufgaben und beschäftigte sich sofort mit der Kugel. Ein Scan folgte dem anderen, doch so richtig schlau wurde er aus der Sache trotzdem nicht, während immer mehr Lichtpunkte erschienen.

Wie ein Gewächs breiteten sie sich aus und feine dünne Ranken wanderten um die Kugel herum.

Das ist nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Ador begann zu schwitzen und dann schrillte plötzlich der Alarm in Elverin los, denn er hatte die wachsende Macht des Weltzerstörers als Bedrohung ausgemacht. Der Herr von Elverin schaltete das grelle Schrillen ab und fühlte wie die Panik in ihm hochkroch. Das Ding muss hier schleunigst raus. Allerdings hütete er sich davor, den Weltzerstörer mit bloßen Händen anzufassen. Stattdessen zog er eine Aura um das gesamte Podest und öffnete ein Tor. Im Nu stand er auf einer weiten Ebene, wo der Sockel ein wenig fehl am Platz wirkte. Doch das war nicht der Grund, weswegen Ador nun entgeistert auf das Monument starrte. Der obere Teil des Steingebildes wirkte wie durch Wind und Wetter weggetragen und die Lichtranken um den Weltzerstörer strahlten umso heller.

Es frisst Materie und wächst daran. Bei den Göttern, was haben diese kranken Magier da erschaffen? Jahrzehntelang der Weltzerstörer geschlummert, doch nun war er erwacht und seine Macht wuchs schnell. Ador war niemand, der leicht die Nerven verlor, doch nun versuchte er geradezu planlos alle möglichen Zauber, um die Macht der Kugel einzudämmen. Ein mächtiger Zauber aus dem Kreis Rot verpuffte ohne jeglichen Schaden zu hinterlassen. Im Gegenteil, der Weltzerstörer schien daraus sogar noch mehr Kraft zu ziehen und hatte den Sockel bereits bis zur Hälfte aufgelöst.

„Verdammte Poxe!“, fluchte Ador, „Hätte ich mir ja denken können, wenn schon damals das Feuer des Drachen diesem hinterhältigen Klumpen nichts anhaben konnte.“ Inzwischen sah Ador keinerlei Schönheit mehr in dem Artefakt, nur eine alles erschütternde Bedrohung, der er nicht Herr werden konnte. Weder Eis noch Erde, weder Geist noch Metall, und auch kein anderer Zauber vermochte die wachsende Kraft des Weltzerstörers einzudämmen. Inzwischen lag sie in einem flachen Krater und Ador hob sie mitsamt der Erde, auf der sie lag, durch ein Tor und platzierte sie diesmal auf einem großen Stein.

Sie wird sich erneut nach unten fressen. Das war Ador klar, aber er hatte zumindest ein wenig Zeit gewonnen.

Eine Stunde und unzählige Experimente später gab es eine gute und eine schlechte Nachricht. Ador hatte einen Weg gefunden die Macht der Kugel zu unterbinden, indem er sie in einen besonderen magischen Käfig steckte. Der Käfig allerdings hielt nur für rund zehn Minuten stand, dann löste er sich auf und das Drama begann von vorne. Natürlich hatte Ador als Meister der Ader Gold auch versucht, das unselige Artefakt einfach in den Wegen zu entsorgen. Doch auch dort gab es eine böse Überraschung, denn der Weltzerstörer fraß sich ganz unspektakulär wieder nach draußen und dann lag er irgendwo in der realen Welt und setzte sein Werk mit noch gierigerem Hunger fort.

Einzig der Kreis Schwarz schien einen Effekt auf den Weltzerstörer zu haben und Ador überlegte.

Das scheint mir die einzige Möglichkeit, doch meine Ader Schwarz ist zu schwach für solch einen Zauber. Womit Ador sofort an den Einen denken musste, der hier helfen konnte. Meister Raiden, er alleine könnte uns alle retten kann.

 

Es war später Vormittag und in der Halle von Naganor fand wieder einmal die übliche Lagebesprechung statt. Das Zentrum dieser Versammlung bildete – wie konnte es anders sein – Seine Hoheit Prinz Raiden und Kommandant Ravenor versuchte wie schon so oft vergeblich seinen Standpunkt zu vertreten. Die Stimmung war gereizt und Sir Hartwig tat sein Möglichstes, um die Wogen zu glätten, während sich die beiden anderen anwesenden Magier Eriwen und Lionas, höflich aus dem unnützen Zwist heraushielten.

„Es hat doch deutliche Vorteile, wenn wir es auf die neue Art machen“, meinte Ravenor gerade und bemühte sich um einen ruhigen Tonfall. Er muss doch logischen Argumenten zugänglich sein. Alles spricht für meinen Vorschlag. Er ist nur dagegen, weil es nicht seine Idee war, weil er mit dem falschen Fuß aufgestanden ist, weil… Prinz Raidens Antwort würde mit Sicherheit das endgültige Abschmettern seines Vorschlages bedeuten und Ravenor wappnete sich gegen die aufwallende Enttäuschung.

„Ador kommt“, sagte Prinz Raiden stattdessen verwundert und irritiertes Staunen zeigte sich auf den Gesichtern der Umstehenden.

„Was?“, fragte Ravenor ungläubig und vergaß dabei sogar alle Formen der Höflichkeit und dann tauchte der oberste Magier auch schon direkt in der Halle auf. Das Feuer des großen Kamins flackerte im Rücken des ersten Magiers, wodurch die Kugel in seinen Händen umso heller leuchtete.

„Oh, was ist das für ein glitzerndes Artefakt?“, fragte Prinz Raiden ganz unbedarft. „Das ist aber hübsch und was für eine starke Magie davon ausgeht …“

„Der Weltzerstörer“, fiel Ador schonungslos mit der Tür ins Haus.

Prinz Raiden erstarrte und riss die Augen schockiert auf: „Und du bringst das Ding hierher nach Naganor? Das Artefakt ist doch aktiv?“ Er zerstört mein Haus. Prinz Raiden war umgehend klargeworden, was das bedeutete. Die Vermutung bestätigte Ador dann auch noch in seinem nächsten Satz:

„Ja, das stimmt. Aber hör mit zu, ich musste ihn herbringen. Aber wir haben nicht viel Zeit, darum komme ich gleich auf den Punkt.“ Der Käfig schwindet schon wieder und ich möchte sie dann nicht in Händen halten. Ador legte die Kugel auf den Tisch, während die Gruppe der Untergebenen einen Schritt zurückwich. Nur Prinz Raiden hielt tapfer die Stellung.

„Der Weltzerstörer, das ist doch nur ein Mythos“, behauptete er mit mäßiger Überzeugung, während er die Kugel nicht aus den Augen ließ.

„Schön wär's. Aber dem ist leider nicht so. Jahrzehntelang befand sich das Artefakt in meinem Besitz und schlummerte vor sich hin. Doch plötzlich, heute Morgen, entscheidet es sich ohne jeglichen Grund dafür zu erwachen. Seither versuche ich seine Kraft einzudämmen.“

Scheiße, das ist nicht gut. „Es ist dir nicht gelungen.“ Prinz Raiden wusste bereits, wie die Antwort lauten würde.

„Nein und ich habe wahrlich alles versucht. Der Weltzerstörer frisst und wächst. Ich kann ihn für kurze Zeit unter Kontrolle halten, doch bei jedem Male, wenn ich den Käfig wirke, wird sein Einfluss schwächer und das Gefängnis kann den Weltzerstörer immer kürzer im Zaum halten.“

„Eine Idee, Meister Ador?“ Das kann nicht das Ende sein. Es gibt immer einen Ausweg. Selbst die schlimmsten Katastrophen haben noch nie die ganze Welt zerstört. Das alles klang so unwirklich.

„Ich habe allerdings eine Idee…“ und dann begann Ador seine sehr wissenschaftliche Theorie darzulegen. Während die Magier im Raum den komplexen Ausführungen des obersten Magiers mehr oder weniger gut folgen konnten, starrten die zwei Unmagischen nur gebannt auf das Artefakt, wie es sich gerade durch die Tischplatte fraß. Das riss Ador kurzzeitig aus seinem Vortrag heraus und er wob besagten Käfig, um die Kugel wieder unter Kontrolle zu bringen.

Als es vollbracht war, lag die Kugel auf dem nächsten Platz an der langen Tafel und Ador wirkte alt und abgezehrt. Es lag eine unheimliche Stille über dem Raum, die nur durch das Knacken des brennenden Feuers gestört wurde.

„Du hältst also eine Zerstörung in den Wegen für möglich. Und wenn die Wege dabei kollabieren?“

Ador wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. „Und wenn schon. Besser die Wege als die Welt.“

„In der Tat, aber wer das versucht, riskiert viel … um nicht zu sagen alles.“ Eine Reise ohne Wiederkehr. Hier zeigte sich die große Loyalität von Prinz Raidens Männern, denn Meister Eriwen trat nun tapfer vor: „Ich kann das machen. Ich… bin nicht so wichtig.“

Doch der Heldenmut brachte ihm nur eine abschätzige Bemerkung des obersten Magiers ein:

„Das kann nicht jeder. Dafür braucht es einen außerordentlichen Magier mit einer starken Ader Schwarz. Schließlich muss ein Nekronom extremen Ausmaßes gewoben werden.“

„Danke, Meister Eriwen, für Euer Angebot, doch der Kelch ist mir zugedacht“, glättete Prinz Raiden die Wogen, denn der Feuermagier in seinen Diensten wirkte durch Adors Ansprache durchaus ein wenig pikiert. Ich muss es tun. Der Gedanke war erschreckend und doch hatte eine seltsame Ruhe von Prinz Raiden Besitz ergriffen. Ich werde die Welt retten, auch wenn es den höchsten Preis kosten mag. Ich sterbe oder alle sterben, womit auch ich sterben würde. Da gibt es keinen Ausweg, nur ein wenig Hoffnung.

 „Habe ich denn eine Chance, das unbeschadet zu überstehen?“ Prinz Raiden hatte seine Entscheidung schon getroffen, doch irgendwie half es ihm, wenn er nun darüber sprach.

„Ich weiß es nicht“, meinte Ador bitter.

„Meine Magie könnte gänzlich ausbluten“, was schlimmer wäre als der Tod.

„Könnte sein.“ Ob er es tut? Nur er kann uns alle retten.

„Ich könnte sterben.“

Ador schwieg. Ja, allerdings.

Plötzlich lächelte Prinz Raiden. „Der Weltzerstörer – müsste diese gefährlich hübsche Kugel nicht ‚die Weltzerstörerin‘ heißen? Wie wir wissen, kommt doch alles Böse von dem verführerischen Weiblichen.“ Der Scherz fand mäßigen Anklang, obwohl Prinz Raiden ihn für ganz gelungen hielt. Einer meiner letzten Scherze, sie könnten ruhig herzhafter darüber lachen. Das würde auch mich aufheitern. Er schüttelte den Gedanken ab.

„Zumindest wird mein Ruhm ewig sein. Darum möchte ich bitten. Obwohl, ein wenig Hoffnung besteht durchaus und man soll das Schlimmste nicht herbeireden.“ Da war Seine Hoheit abergläubisch.

„Deswegen werde ich mich auch bestmöglich vorbereiten und ein paar Artefakte mitnehmen.“

In dem Moment fiel der Weltzerstörer durch ein Loch in der Tischplatte klirrend auf den Fußboden und alle erschraken.

„Bei der Poxe, so verdammt kurz hat der Schutzzauber diesmal gehalten. Ich werde die Macht des Weltzerstörers nicht mehr lange einsperren können“, fluchte Ador und während er zauberte, machte sich Prinz Raiden daran, Artefakte aus seiner Sammlung herbeizuholen. Magisch beflügelt flogen Ringe und Schatullen das Treppenhaus herunter. Dann öffnete sich die Tür im hinteren Bereich der Halle und ließ den Zug des Geschmeides hindurch. Ein ansehnlicher Schatz türmte sich so auf dem unteren Teil der Tafel auf und Meister Ador drängte.

„Wir müssen handeln.“

„Gemach, ich will mich nur gut vorbereiten, falls ich ausblute und dann gar jämmerlich unmagisch an irgendeinem unwirtlichen Ort lande. Zum Beispiel inmitten des Meeres oder direkt auf einem Berggipfel. Aber wahrscheinlich geht alles glatt, und ich bin in einer Minute zurück in dieser Halle.“ Prinz Raiden zwinkerte seinen Untergebenen zu. Die wirkten gerade wie verschreckte Schafe, die sich ängstlich auf einem Haufen zusammendrängten. Er nahm einen Ring zur Hand und steckte ihn in einen Lederbeutel, während Ador den Weltzerstörer nicht aus den Augen ließ.

„Ihr wisst, was Ihr zu tun habt, Meister Raiden?“

„Ich bin kein Anfänger.“ Der Herr von Naganor grinste überheblich. „Ich werde die Aura besonders groß machen, damit auch alles in den Wegen bleibt. Und vergesst ja nicht von meiner Heldentat zu berichten, Meister Ador. Prinz Raiden, wie er die Welt rettete und seine Magie zum Wohle der Menschheit opferte.“ Vom Tod wollte er nicht sprechen, denn der Moment, in dem er gehen musste, kam immer näher. „Die Vorstellung, ein Unmagischer zu sein, ist erschreckend. Ich hoffe, das Ausbrennen der Adern ist nicht von Dauer“, sinnierte er, als ihn Adors lauter Ruf unterbrach:

„Nein, nicht schon wieder. Prinz Raiden, wenn ich die Kugel versiegelt habe, müsst ihr gehen. Sofort! Mehr Versuche haben wir nicht. Haltet Euch bereit, wenn ich das Tor für Euch öffne.“

„Ich bin bereit“, verkündete Prinz Raiden und stopfte hektisch Ringe in den Lederbeutel. Indessen machte Ravenor einen unsicheren Schritt nach vorne. Wenn er wirklich unmagisch wird, dann ist Prinz Raiden gänzlich hilflos. Ich habe das schon erlebt, er kommt in unserer Welt einfach nicht mehr zu recht. Aber wenn ich ihm helfe, dann schaffen wir das. Und er hat ja gesagt, dass er die Aura groß machen wird, da könnte ich…

„Jetzt!“, schrie Ador und hielt Prinz Raiden den Weltzerstörer hin. Die schützende Hülle umgab das Artefakt wie eine gläserne Kugel und Prinz Raiden griff zu. Schon öffnete sich das Tor in die Wege und die Blicke der beiden Hochmagier trafen sich.

„Ich wünsche dir Glück, Raiden“, sagte Ador und der Herr von Naganor verabschiedete sich mit einem leichten Nicken, dann trat er durch das Tor.

Ravenor hatte sein Vorhaben noch nicht zu Ende gedacht und deswegen folgte er seinem Herzen und ignorierte gänzlich seinen Verstand. Mit einem Sprung setzte er Prinz Raiden nach und bekam dessen Mantel zu fassen. Als Unmagischer bekam er von den nachfolgenden Ereignissen nichts weiter mit.

Sein Vater verlangsamte den Fluss der Wege und erschuf gleichzeitig ein gigantisches Nekronom. Die magische Schutzschicht um die Kugel herum war inzwischen hauchdünn geworden. Prinz Raiden ließ den Weltzerstörer los und gespenstisch schwebte das Artefakt vor ihm im Grau der Wege. Als die schützende Magie gänzlich erlosch, entfesselte Prinz Raiden das Nekronom und lenkte es durch jene Schwachstelle, die Ador entdeckt hatte, mitten in den Weltzerstörer hinein. Er wartete nicht ab, was dann passieren würde.

Sofort weg von hier und zurück nach Naganor. Doch aus diesem Plan wurde nichts, denn der Weltzerstörer zerbarst und löste einen furchtbaren Sturm in den Wegen aus. Anstatt nach Naganor zurückzukehren, wurde Prinz Raiden in einer gänzlich anderen Gegend aus den Wegen herausgeschleudert. Von dem blinden Passagier, der ihm da am Mantelzipfel hing, hatte er die ganze Zeit über nichts bemerkt. Zu sehr war er mit der Zerstörung des Weltzerstörers beschäftigt gewesen und nun beim Austritt ging alles rasend schnell. Ein harter Stoß in den Rücken schleuderte Prinz Raiden mitten in die Wüste hinein, während Ravenor nicht weit entfern von Seiner Hoheit ebenfalls in jenem fernen Land herauskam, über das es eine ganz eigene Geschichte gibt.

Währenddessen verharrten die verbliebenen Magier zusammen mit Sir Hartwig in angespannter Stille. Nichts geschah.
„Seht Ihr etwas, Meister Ador?“, Meister Eriwen sah den obersten Magier erwartungsvoll an. Der schüttelte nur leicht den Kopf. „Die Wege sind aufgewühlt.“
„Sind sie zerstört? Ist der Weltzerstörer zerstört?“ Meister Lionas konnte nicht an sich halten. „Und Prinz Raiden und Sir Ravenor, leben sie noch?“
Ador reagierte gereizt: „Hört Ihr mir nicht zu? Die Wege sind aufgewühlt. Keiner kann zurzeit dort hinein. Wie soll ich da wissen, was passiert ist? Ich kann lediglich Vermutungen anstellen.“
Keiner der Umstehenden getraute sich nun, weitere Fragen zu stellen, doch ihre Blicke hafteten an Ador und er fuhr fort:
„Sehr wahrscheinlich sind wir den Weltzerstörer los. Denn selbst ein so gewaltiges Nekronom alleine könnte nicht solch einen Effekt in den Wegen erzeugen. Gut ist auch, dass die Wege noch da sind. Sie erscheinen mir lediglich aufgewühlt, wie das Meer bei einem Sturm, und wie ich die Lage einschätze, werden sie sich auch wieder beruhigen. Was ich nicht weiß, ist, was mit jenen geschah, die sich zurzeit des Unfalls darin befunden haben. Bestenfalls wurden sie herausgeschleudert.“
„Das gäbe Anlass zur Hoffnung“, meinte Meister Lionas erleichtert und Meister Eriwen bot sogleich an: „Ich stelle sofort Nachforschungen an, dann haben wir bald Gewissheit.“ Sein Blick wurde gläsern, als er telepathierte.
„Meister Raiden gebührt großer Dank für seine Heldentat. Er hat die Welt gerettet“, bemerkte Meister Ador, der selten anderen Anerkennung zollte. Hätte ich es an seiner Stelle auch getan? Ich weiß es nicht und ich konnte es mit meiner geringen Ader Schwarz auch nicht bewerkstelligen. „Aber warum ist ihm der Unmagische nachgesprungen? Das ist mir unverständlich.“ Unbewusst benutzte Meister Ador Ravenors Spitznahmen.
„Sir Ravenor ist Prinz Raidens Sohn und auch wenn sie sich oft streiten, steht er doch vollkommen hinter seinem Vater. Vermutlich wollte er ihm helfen.“
„Das war nicht seine erste tollkühne Aktion und hoffentlich war es nicht seine letzte“, meinte Sir Hartwig besorgt, denn langsam dämmerte ihm die ganze Tragweite der Geschehnisse. Wenn Prinz Raiden und Ravenor nicht mehr zurückkommen, dann hat das gewaltige Auswirkungen auf ganz Ardeen. Bin ich vielleicht sogar der nächste in der Thronfolge? Aber ich bin nicht als sein Sohn anerkannt, so wie Ravenor. Ärgerlich über sich selbst, wischte Sir Hartwig die düsteren Gedanken beiseite. Ich will die ganze Verantwortung auch gar nicht. Sie kommen zurück, das müssen sie einfach.
„Ach so, das war sein Sohn“, wunderte sich Ador laut. Er opfert sich für seinen Vater auf, ohne dass er ein Hybrid ist. Erstaunlich. Hier unterbrach Meister Eriwen das Gespräch.
„Gute Neuigkeiten. Ich habe gerade mit den Magiern an den großen Toren telepathiert. Die Leute, die zuletzt eintraten, wurden zum Ausgangspunkt zurückgestoßen. Es herrscht große Aufregung bei den Toren, da niemand weiß, was plötzlich geschehen ist. Ich habe mich vorerst bedeckt gehalten, Meister Ador. Schließlich wollte ich Euch nicht vorgreifen, wenn Ihr die Magierschaft informiert.“
„Das war richtig“, lobte Ador. „Und diese Information bestätigt meine Annahme. Die Gesetze der Wege sind anders als in der realen Welt. Ein Herausdrängen passt ins Bild.“
„Aber Prinz Raiden ist nicht hierher zurückgekehrt“, unkte Meister Lionas, der sonst eher zum Optimismus neigte.
„Er musste treiben, um den Weltzerstörer mit dem Nekronom sprengen zu können. Das verändert die Adresse. Er wird an einem unbekannten Zielort herausgedrängt worden sein.“
„Und Sir Ravenor? Ist er bei ihm?“, fragte Meister Lionas hoffnungsvoll.
Bin ich allwissend? Ador versuchte es mit einer unbestimmten Telepathie. Nichts, aber das war auch nicht anders zu erwarten. Die Telepathie muss in die Nähe des Empfängers gerichtet sein, um das Ziel zu erreichen. „Wir können nur abwarten“, entgegnete Ador bestimmt und meinte dann.
„Ich muss mit den Magiern der Bruderschaft Kontakt aufnehmen und deswegen empfehle ich mich jetzt. Sobald die Wege wieder begehbar sind, werde ich nach Prinz Raiden und seinem Abkömmling suchen.“ Ohne den Komfort der Torreisen, begab sich Meister Ador ganz unmagisch zu Fuß aus der großen Halle. Draußen machte er sich unsichtbar, denn er fand es erbärmlich, dass er nun so jämmerlich dahinschreiten musste. Kaum hatte er den Schutzbereich des Turmes verlassen, verschwand er im nächsten Waldstück und begann zu wirken.
Eine Wandlung ist schmerzhaft, schwierig und anstrengend, doch der Weg nach Elverin ist weit und ich wüsste nicht, wie ich sonst dorthin käme.
Bald wuchsen Meister Ador Flügel, die doch sehr den Schwingen eines Drachen ähnelten und als sie groß genug waren, um sein Gewicht zu tragen, schwang sich der Herr des Goldenen Turmes in die Lüfte und flog in Richtung Elverin davon.
 
Die Magie ist unergründlich und manche magischen Katastrophen hinterlassen ihre Spuren auf ewig, während die verheerenden Auswirkungen anderer nach kürzester Zeit schon wieder verblassen. Die Zerstörung des Weltzerstörers gehörte zur zweiteren Kategorie und nach wenigen Tagen waren die Wege wieder begehbar – so, als wäre nichts gewesen.
Vielleicht ergibt zwei Mal Zerstörung wieder eine heile Welt, sinnierte Meister Ador, der sich nach dem langen Flug über die Berge und der anschließenden Rückverwandlung noch reichlich schwach fühlte.
Ich hätte abwarten sollen, bis das Reisen wieder möglich war. Aber an jenem schicksalshaften Tag konnte er nicht ahnen, dass dies schon so bald geschehen würde und nun war es ohnehin zu spät. Die Umstände geboten es, dass eine Sitzung der Bruderschaft einberufen wurde und ein paar der Kollegen waren auch schon anwesend und hatten auf ihren Plätzen am runden Tisch in Elverin Platz genommen. Sie unterhielten sich miteinander, während Meister Ador schweigend seinen Gedanken nachhing. Dort, wo die Flügel am Rücken angesetzt hatten, juckte es erbärmlich und er kratzte sich unauffällig an der hohen Rückenlehne des Stuhls. Bei den Anwesenden wäre der Gebrauch von Magie weitaus auffälliger gewesen.
Gerade noch rechtzeitig kam Meister Celor herein, gefolgt von Meister Savyen und somit waren sie vollständig.
„Bitte nehmt Platz, werte Kollegen, damit wir anfangen können“, eröffnete Meister Ador die Sitzung und prompt meldete sich Meister Tellenor zu Wort:
„Richtig so, auf den, der immer zu spät kommt, braucht man nicht zu warten. Meister Raiden soll ruhig merken, dass nun ein anderer Wind weht.“
Ungewollt hatte der Herr vom Grünen Turm den Kern des Problems gleich angesprochen, denn bisher hatte Meister Ador nichts bezüglich des Weltzerstörers und dessen Folgen verlauten lassen.
„Meister Raiden wird nicht kommen“, begann der oberste Magier etwas zögerlich.
„Ach, er hält es wohl nicht mehr für notwendig, unsere Sitzungen mit seiner Anwesenheit zu beehren“, giftete Meister Tellenor und erhielt sogleich Rückendeckung von Meister Talasin:
„Wir sollten uns mit der Abwesenheit dieses Herrn nicht weiter aufhalten. Warum, werter Meister Ador, habt Ihr denn dieses Treffen einberufen? Wisst Ihr Näheres über dieses seltsame Phänomen in den Wegen?“
Allerdings… „Dieses Treffen findet wegen Meister Raiden statt. Er hat uns alle gerettet.“ Und dann erzählte Meister Ador, was sich zugetragen hatte. Die Enthüllungen versetzten selbst die Hochmagier in erstauntes Erschrecken, denn gerade sie konnten in allen Einzelheiten nachvollziehen, was sich hier ereignet hatte.
„Ihr seht also, welchen Dank wir Meister Raiden schulden und nun ist er verschwunden. Die Wege verraten mir sonst viel, doch nach diesem Sturm kann ich keine Spuren mehr finden. Deswegen hoffe ich auf Eure Hilfe, um zu erfahren, ob Meister Raiden überhaupt noch unter uns weilt.“ In den Gesichtern ließ sich nun ganz gut ablesen, wer Meister Raiden wohlgesonnen war und wer nicht. Neutralität in dieser Sache war eher selten. Erstaunlich war, dass sich nun gerade Meister Celor hervortat, obwohl ihn Meister Raiden in der Vergangenheit oft lächerlich gemacht hatte.
„Ich könnte sein Licht suchen, dann haben wir Gewissheit.“
Meister Ador nickte anerkennend. „Ein guter Vorschlag. Könnt Ihr es sofort tun?“
„Natürlich, es wird nicht lange dauern.“ Ein klein wenig schien es Meister Celor sogar gut zu tun, dass er nun im Mittelpunkt stand. Dann begann er zu wirken und sein Blick wurde glasig.
Nach anfänglichem Zögern meinte nun auch Meister Beovis: „Ich beherrsche diese Form der Magie ebenfalls, deswegen werde auch ich einen Versuch unternehmen.“
„Nur zu“, stimmte Meister Ador zu. „Zwei Ergebnisse sind besser als eines.“
Während die Hochmagier der Kreise Silber und Gelb nach dem Licht des Lebens suchten, unterhielten sich die restlichen Turmherren.
„Eine erstaunlich selbstlose Tat von Meister Raiden. Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut“, bemerkte Meister Savyen mit einem respektvollen Unterton in der Stimme.
„Er hat keinen Sinn mehr in seinem belanglosen Leben voller Sünde gesehen und will sich durch solch eine Tat nun den ewigen Ruhm der Nachwelt sichern. Prinz Raiden – der Retter der Welt“, unterstellte Meister Tellenor schamlos und fügte obendrein noch an: „Ich bin dafür, dass wir diese Geschichte geheim halten. Diese fast eingetretene Weltzerstörung würde die Unmagischen wie die mäßig Magischen unnötig verstören.“
Diese alte Giftkröte. Hätte er an Raidens Stelle dasselbe getan? Wohl kaum. „Ich zolle Meister Raiden Respekt und werde seine Taten gebührend würdigen“, meinte Meister Ador bestimmt. Andererseits war er der unglückliche Besitzer besagten Artefakts gewesen und da könnte doch der eine oder andere auf die Idee kommen, Meister Ador irgendeine Schuld zuzuweisen.
„Er lebt!“, platzte Meister Celor in das Gespräch hinein. Doch diese Mitteilung war bedeutend wichtiger als das vorherige Gezanke. Ador atmete erleichtert aus.
„Gute Neuigkeiten, aber wo ist er?“
„Das Licht des Lebens zu entdecken, verrät einem nichts über den Aufenthaltsort“, dozierte Meister Celor, als ob Meister Ador ein Aspirant der ersten Stufe wäre.
„Das weiß ich“, entgegnete der oberste Magier leicht ungehalten. „Ich habe nur laut gedacht. Ihr seid Euch mit dem Lebenslicht sicher?“, zweifelte er nun die Aussage des Herrn vom Gelben Turm an, doch Meister Celor ließ sich nicht provozieren, sondern entgegnete ganz gelassen:
„Absolut. Meister Raiden lebt und er scheint auch bei bester Gesundheit zu sein.“
„Ich habe es auch gesehen“, bestätigte jetzt auch Meister Beovis, woraufhin Meister Tellenor das Gesicht verzog.
„Möge er noch ein langes Leben vor sich haben.“ Dies waren beileibe keine guten Herzenswünsche aus dem Reiche Grün und das war auch jedem der Anwesenden klar. Ador ging darüber hinweg.
„Das sind gute Neuigkeiten und wie sagt man so schön: Ende gut, alles gut. Meister Raiden wird schon wieder auftauchen. Ich wette sogar, der alte Fuchs nimmt sich gerade eine Auszeit und lässt es sich ein paar Tage lang richtig gut gehen. Als Turmherr und Prinz ist er schließlich doppelt gefordert. Magische und Unmagische umschwärmen ihn tagtäglich. Also mir wäre das schon längst zu viel geworden. Ich werde noch die Magier in Naganor informieren und damit wäre dann diese Sache umfassend geklärt. Wir können die Sitzung somit schnell beenden oder gibt es noch irgendwelche Fragen?“
„Ja, in der Tat habe ich noch Fragen, aber in einer anderen Sache“, meldete sich Meister Talasin zu Wort und Ador grinste gequält. Zu dumm, ich habe es falsch formuliert. Manch einer versteht den feinen Unterton eben nicht.
 
Während in der Welt der Hochmagie alles wieder in bester Ordnung war, hatten auch die ergebenen Untertanen Seiner Hoheit einen Weg gefunden mit der Situation umzugehen. Da sie alle schon einmal erlebt hatten, was es bedeutete, wenn die Feinde des Reiches wussten, dass Prinz Raiden abwesend war, gab es nur eine Lösung: Die totale Vertuschung. Schließlich wussten nur drei Personen von dem Vorfall mit dem Weltzerstörer. Meister Eriwen, Meister Lionas und Kommandant Hartwig. Der Plan, den sie nun ersannen, war simpel. Zunächst würde Meister Eriwen in die Rolle Seiner Hoheit schlüpfen, während sein illusorisches Ich zusammen mit einer Ravenor-Illusion eine wichtige Reise unternahm. So gewannen sie erst einmal Zeit, um sich das weitere Vorgehen gut überlegen zu können. Als dann ein paar Tage später der oberste Magier höchstpersönlich mitteilte, dass Prinz Raiden noch am Leben wäre, fuhren die drei hoffnungsvoll mit ihrer Scharade fort. Schließlich würde Prinz Raiden sicherlich bald wieder zurückkehren. Nun ‚bald‘ ist ein sehr dehnbarer Begriff und aus ‚bald‘ wurden Monate, bis das Wunder geschah und Prinz Raiden schließlich zusammen mit Ravenor wiederkehrte. Wo er so lange gesteckt hatte, darüber schwieg sich Prinz Raiden beharrlich aus und auch Ravenor, der sonst auch ganz gerne selbst für den neuesten Klatsch sorgte, verlor kein Wort darüber in welchem fernen Land sie denn gewesen waren.
 
Wer das genauer wissen möchte, der kann das Abenteuer der beiden In einem fernen Land nachlesen.